ZKB Schillerpreis 2006 an Dieter Zwicky

Dieter Zwicky erhält den mit 10000 Franken dotierten ZKB Schillerpreis für seinen Prosaband «Reizkers Entdeckung». Wir gratulieren.

Begründung der Jury:

Dieter Zwickys Kurzprosa zeichnet sich aus durch Konzentriertheit, lakonischen Witz und einen virtuosen Umgang mit einer sich immer selber reflektierenden Sprache. Die zum Teil brachliegenden Wahrnehmungsvermögen der menschlichen Sinnesorgane, die Macht der Vorstellungen, der trügerische Zusammenhang zwischen Wörtern und Dingen sind immer wiederkehrende Themen. Die Texte dokumentieren Momente des Innewerdens, in denen neue Formen der Wahrnehmung, neue Arten, mit der Welt - den Menschen, der Natur, den Tieren, den Gegenständen - in Kontakt zu treten, aufscheinen. So laden sie auch den Leser ein zum Innehalten, suggerieren intensive Bilder, hinterlassen Rätsel. (Urkunden-Text) 
Meine Damen und Herren 
wir sind heute zusammengekommen, um den diesjährigen Schillerpreis der Zürcher Kantonalbank an Dieter Zwicky zu überreichen und diesen Preis zu befeiern. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren setzt die Zürcher Kantonalbank jährlich eine beträchtliche Summe für einen Literaturpreis aus: die Schweizerische Schillerstiftung, konkret deren deutschsprachige Jury, hat die Aufgabe und das Privileg, die jeweiligen Preisträger zu bestimmen. 
Die Schillerstiftung ist eine Organisation, die letztes Jahr ihr hundertes Jubiläum feierte, also ein bisschen jünger ist als die Zürcher Kantonalbank, welche, wenn meine historischen Kenntnisse mich nicht täuschen, in einigen Jahre wohl ihr hundertfünfzigstes Jubiläum wird begehen dürfen. In den hundert Jahren ihres Bestehens hat die Schweizerische Schillerstiftung Literaturförderung betrieben, hat also Geld verteilt, hauptsächlich und in den letzten Jahrzehnten ausschliesslich in Form von Preisen. Die Schillerstiftung ist in den vier Sprachregionen der Schweiz tätig, es gibt für jede Sprachregion eine Fachjury, welche von Jahr zu Jahr die literarische Produktion prüft und Vorschläge macht, welche Autorinnen und Autoren auszuzeichnen sind. Da die Stiftung immer ängstlicher dafür sorgen muss, dass sie noch etwas zum Verteilen hat, ist sie ausserordentlich dankbar dafür, dass es den Schillerpreis der Zürcher Kantonalbank gibt, der es der deutschsprachigen Jury erlaubt, eine weitere Autorin einen weiteren Autor auszuzeichnen. 
Das Engagement der Zürcher Kantonalbank für die Literatur ist keine Selbstverständlichkeit - deshalb sind wir dafür doppelt dankbar; das Sponsoring ist aus dem modernen Kulturbetrieb zwar nicht mehr wegzudenken, doch hat die Literatur dabei einen schweren Stand. Der Grund liegt auf der Hand: abgesehen vom Theater, kennt der Literaturbetrieb wenig Events, die einem Sponsoren Gelegenheit geben, wirkungsvoll auf sich aufmerksam zu machen. Die Autoren arbeiten im stillen Kämmerlein, man sieht sie nicht, wenn sie ihre Kunst ausüben, wie das etwa bei Sängern oder Schauspielerinnen der Fall ist. Und im stillen Kämmerlein passiert dann auch das Lesen der Bücher. Dabei kann man im Bereich der Literatur eigentlich mit wenig Geld schon sehr viel bewirken: mit den Beträgen, die aufgewendet werden müssen, um Meret Oppenheims Pelztasse aus dem New Yorker Metropolitan Museum während zweier Monate in Bern zu zeigen, könnten fünf Autoren fünf Jahre lang ausgehalten werden, um je einen dicken Roman zu schreiben. Die Literatur ist eine arme Kunst, womit weder über ihren Gehalt noch über ihre Wirkung etwas ausgesagt ist. Sie ist darauf sogar stolz: ein paar bedruckte Seiten genügen, um im Kopf eines Lesers, einer Leserin eine bunte Welt entstehen zu lassen. 
Das demonstriert auch Dieter Zwicky, der Schriftsteller, den wir heute auszeichnen dürfen. Vor fast zwanzig Jahren hat er sich entschieden, nach dem Theologiestudium nicht eine Pfarrerstelle anzunehmen, sondern sich dem Schreiben zu verschreiben, daraus seinen Beruf zu machen, obwohl er nicht damit rechnen konnte, sich so sein Leben zu verdienen. 
Das Buch, für das wir Dieter Zwicky auszeichnen, ist kein Roman, sondern eine recht schmale Sammlung kurzer und kürzester Prosatexte. Mehr noch als diese Beschränkung auf die kleine Form lässt es der Inhalt angemessen erscheinen, von einer armen Kunst zu sprechen (ich hoffe, dass Sie den bewundernden Unterton jetzt mithören, wenn ich das sage). Dabei handeln die Texte von Dieter Zwicky nicht eigentlich von Alltäglichkeiten wie diejenigen unseres Altmeisters der Kurzprosa, Peter Bichsel. Sie handeln vielmehr von kleinen Sensationen, die unvermittelt in den Alltag einbrechen, sich allerdings der unscheinbarsten Mittel verdanken. Der Titel »Reizkers Entdeckung« ist da wohl schon ein Hinweis. Es steckt das Wort Reiz darin, Sinnenreiz. Viele der »Entdeckungen«, von denen in dem Buch erzählt wird, bestehen darin, dass die Ohren, die Augen, die Fingerkuppen plötzlich etwas erfahren, was ihnen lange entgangen ist: die Empfindung - auf französisch sagt man »la sensation« - eines kalten Metallnagels an der heissen Wange kann da als Sensation empfunden werden. Manchmal glaubt man beim Lesen zu spüren, dass der Verfasser kleine Kinder um sich hatte, als er diese Texte schrieb. Die Kinder nehmen unsere Welt anders wahr als wir Erwachsenen, die wir von jedem Ding seinen Gebrauchswert zu kennen meinen. „Nume mit de ouge luege“ musste uns als Kinder der Spielwahrenhändler ermahnen. Dieter Zwicky will uns das Gegenteil lehren. Fast kindlich mutet auch etwa das Gedankenspiel an, das in einem der etwas längeren Texte des Bandes angestellt wird und darin besteht, sich vorzustellen, was Bäume über uns Menschen denken - ein Text, der auch sehr schön Dieter Zwickys Humor zeigt. 
Der Reiz von »Reizkers Entdeckung« scheint mir nun aber wesentlich darin zu liegen, dass das Kindliche, Leichte darin dem Philosophischen so nahe kommt: das Bemühen, das menschliche Wahrnehmungsvermögen in seiner ganzen reichen Vielfalt zu vergegenwärtigen führt zu wahrnehmungstheoretische Reflexionen. Es wird nicht einfach für Gefühligkeit plädiert, auf Kosten des Kopfes; Dieter Zwicky ist kein new-age-Autor. Der Kopf ist gefordert, auch der des Lesers. In ihm können Welten entstehen, was aussen ist und was innen, was Erfahrung und was Traum oder Imagination, lässt sich nie sauber scheiden. 
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Sprache, die für Dieter Zwickys Prosa nicht nur kunstvoll gehandhabtes Instrument, sondern auch Thema ist. Zwei drei Worte genügen, um unsere Vorstellungskraft in Gang zu setzen. Damit arbeiten diese Texte und darüber wundern sie sich gleichzeitig auch immer wieder. 
Nun könnte man sagen: was dieser Zwicky da macht, sind interessante Meditationen. Warum aber muss man ihn dafür auch noch extra bezahlen, ihn mit einem Preis auszeichnen? Ich habe eine etwas altertümliche Antwort dafür bereit, die Ihnen sonderbar vorkommen mag: im Mittelalter ging man davon aus, dass die verschiedenen Berufsgruppen in der Gesellschaft je eine Funktion haben. Die Funktion der Mönche, die keine eigentlich produktive Arbeit leisteten, sah man darin, dass sie für die anderen beten und zwar nicht zugunsten der anderen, sondern an deren Stelle: die Bauern und die Krieger hatten dafür nicht genügend Zeit. Autoren wie Dieter Zwicky gehen Fragen nach, halten sich für Erfahrungen offen, für die wir immer nicht genug Zeit und nicht genug Muße haben; so erbringt er, und nun werde ich wieder ganz modern, einen Service. Sein Buch ist davon das Kondensat, und indem wir es lesen, können wir gleichsam die Früchte ernten von langen Meditationen, für die uns die Zeit fehlt. 
Man könnte sich ja auch sagen, dass in unserer globalisierten Welt eine Handvoll Nobelpreisträger genügt, um uns mit qualitätvollem Lesestoff zu versorgen. Demgegenüber finde ich es wichtig, dass eine gewisse Schriftstellerdichte gewahrt bleibt (dass sie in der Schweiz besonders hoch ist, halte ich für einen Glücksfall und für eine Verpflichtung). Es ist wichtig, dass die Schriftstellerinnen und Schriftsteller mit ihrer langsamen Art, mit ihrem Vermögen, das Alltägliche und Selbstverständlich als merkwürdig und nichtselbstverständlich zu erfahren, unter uns leben und so als Existenzen wahrnehmbar sind. Kundennähe könnte man das nennen, etwas, was sich ja die Zürcher Kantonalbank, wenn ich recht informiert bin, auf die Fahne geschrieben hat. 
Die Autoren überleben nur, wenn wir ihre Bücher kaufen und wenn wir ihnen - wenn ihr Service uns überzeugt - auch mal einen Preis zusprechen. Reich werden sie darob noch lange nicht. 
Bevor die Bücher indessen gekauft werden können, müssen sie auch gedruckt werden: dazu braucht es einen Verleger. Dieter Zwicky hat ihn in Ricco Bilger gefunden. Die deutschsprachige Jury der Schweizerischen Schillerstiftung will den Preis an Dieter Zwicky ganz ausdrücklich auch als Anerkennung für das unermüdliche und risikofreudige Wirken des »bilgerverlags« verstanden wissen. Ricco Bilger und Kurt Heimann agieren in einem wirtschaftlichen Feld, in dem es keine bluechips, keine sicheren Werte gibt: alles kommt da an auf Gespür, Idealismus, Begeisterungsvermögen und wohl auch ein bisschen Glück. 
Dreifach ist also mein Dank: er richtet sich an die Zürcher Kantonalbank für den Preis, an Dieter Zwicky für das Buch, und den »bilgerverlag« für die Publikation dieses Buches. 
Dominik Müller, Präsident der Schweizerischen Schillerstiftung 

Dies und Das

Dieter Zwicky trifft Werner Kofler

Als Einstimmung auf «Reizkers Entdeckung» das folgende Gespräch, das die Journalistin Ursula von Arx im Zug von Leukerbad nach Zürich mitgeschrieben hat (Juli 2002, NZZ Folio)

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ZKB Schillerpreis 2006 an Dieter Zwicky

Dieter Zwicky erhält den mit 10000 Franken dotierten ZKB Schillerpreis für seinen Prosaband «Reizkers Entdeckung». Wir gratulieren.

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Interview mit Dieter Zwicky 4. Dezember 2001

RB: Was unterscheidet das Unterwegssein zu Fuss von allen anderen Arten der Fortbewegung? 
DZ: Gehe ich zu Fuss, sickert zumindest noch sekundenweise die Entlastung ins in Sachen Aufnahmekapazität erschöpfte System, dass physischer Stillstand die ideale, die angemessene Art der Fortbewegung wäre.

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Rita Palanikumar 2006

Dieter Zwicky