»Über jeden wächst einmal Gras, nur über die Kühe nicht, die es fressen.«
Aufruhr in Riedwil im Tösstal, einem Tal, das in frühen Zeiten von den Kelten besiedelt sein soll. In Riedwil, der Gemeinde ohne Bahnhof, irgendwo um die Ecke bei Kollbrunn, Rikon und Turbenthal. In den zum Teil fast unberührten Seitentälern leben Gämsen, Auerhahn und ausgewilderte Luchse. Von Ufosichtungen ist die Rede, und auch an die bigotten Prediger auf den Hügeln hat man sich gewohnt.
Aber zwei Tote in einem fremden Grab? Das ist mindestens einer zuviel, zumal von dem, der eigentlich darin liegen sollte, jede Spur fehlt. Für alles und zu Allen gab es Indizien. Zum Jenischen Anton Moser, dem Schuttforscher Amin de Trey, der Gemeindepräsidentin Edith Nussbaumer. Zu allem gab es Einwände. Zuletzt wurde Professor Amin de Trey am Rosengarten-Stammtisch zur dunklen Gestalt. Auch weil er sich dort nie gezeigt hatte.
Der Stammtisch: »De Trey wollte wissenschaftlich beweisen, dass die Helvetier gar keine alten Schweizer waren, sondern Eingewanderte«, wusste der Wirt. »Mit Genforschung«, nickte der Handwerker. Der pensionierte Lehrer konnte bestätigen: »Er hat mir gesagt, zwanzig Prozent der europäischen Y-Chromosomen stammten von neolithischen Einwanderern aus Kleinasien.« - »Von was für Einwanderern?« - »Dann wären die Schweizer am Schluss Araber«, empörte sich der Wirt. »Türken«, korrigierte der Lehrer. »Er ist jedenfalls zurück im Orient«, sagte der Wirt grinsend. »Oder er liegt in einer der Täuferhöhlen bei uns in den Hügeln«, mutmasste die Serviertochter. »Halte dich an die Vergangenheit. Vergangenheit ist der einzige Reichtum, der sich stets vermehrt.« Levantinische Wahrheit
Lülü ist eine fein komponierte Groteske, ein hintersinniges Lesevergnügen, in dem Willi Wottreng von Anton Moser, dem Jenischen erzählt, der eine Theorie der akustischen Archäologie entwickelt hat und partout nicht davon ablassen will, eine Welt, die sich im Umbruch befindet, ins Reich des Phantastischen entführen zu wollen.