Katharina Faber erhält den Zolliker Kunstpreis 2005 (Anerkennungspreis)

Wir gratulieren. Am 29. Mai 2005 erhielt Katharina Faber für ihren Roman «Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand» den Zolliker Kunstpreis 2005 (Anerkennungspreis). Hier die Laudatio von Christine Lötscher.

Laudatio Katharina Faber 
Liebe Katharina Faber 
Meine Damen und Herren 
„Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand“ ist der Titel des Romans, für den Katharina Faber heute ausgezeichnet wird; ein betörender Titel, der das Rauschen, den Rausch, das Schwindelgefühl vorwegnimmt, das einen beim Lesen erfasst. Ein Strand ist zwar kein Abgrund, nicht direkt jedenfalls, und doch lässt mich das Bild an Büchners Lenz denken, dem es „manchmal unangenehm war, dass er nicht auf dem Kopf gehen“ konnte - um den Himmel als Abgrund unter sich zu haben. 
„Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand“ ist ebenfalls ein Zitat. Es stammt aus einem Gedicht von Arthur Rimbaud, einem Dichter des Rausches und der Extremzustände, der sich der „Entregelung der Sinne“, wie er es nannte, verschrieben hatte. - Rimbaud könnte auch eine Figur aus einem Buch von Katharina Faber sein. 
Als ich Katharina Fabers Roman im Hinblick auf den heutigen Abend noch einmal las, habe ich, genau wie bei der ersten Lektüre vor drei Jahren, als das Buch erschien, gestaunt: dieser Stil, dieser Ton, dieser Blick auf die Welt und die Menschen ist immer noch neu und unerhört; an literarische Moden gewöhnt man sich schnell, doch hier haben wir es mit etwas existentiell Literarischen zu tun. Man hat sich daran gewöhnt, dass innovatives Schreiben auf der einen und emotional unwiderstehliches Schreiben auf der anderen Seite unvereinbare Widersprüche sind. Vor allem in der deutschsprachigen Literatur trifft man die beiden selten zusammen zwischen zwei Buchdeckeln an. Doch bei Katharina Faber gehört alles zusammen. Ich habe mich gefragt, was denn dieses Neue, dieses grossartig Verrückte an ihrer Prosa sei. Die Sprache könnte es sein, die manchmal an Thomas Bernhards Tiraden erinnert, aber lustvoll und wild enfesselt. Oder ist es der heisskalte Blick auf die Figuren, den man in der Literatur sonst kaum findet? Alles in allem aber musste ich einsehen, dass Katharina Fabers Art des Schreibens sich der Analyse, fein säuberlich gesondert nach Form und Inhalt, entzieht, ja direkt verweigert. Und das ist das Beste, was man von einem literarischen Text sagen kann. 
Katharina Faber ist eine Geschichtenerzählerin mit gefährlich hoch dosiertem Verführungspotential. Vielleicht möchten wir ja lieber gar nicht zusehen, wie sich ihre Hauptfigur Darja Savary zu Grunde richtet. Wie sie, vor Kurzem noch eine erfolgreiche Geschäftsfrau und begehrte Liebhaberin, nur noch trinkt und trinkt und trinkt und betrunken durch die Gegend gondelt in ihrem Auto; vielleicht möchten wir lieber die Augen verschliessen als Zeugen davon werden, wie ihr letzer Liebhaber Alain, ein Mörder, der aus dem Gefängnis geflohen und viel jünger ist als sie, immer mehr Kontrolle über ihr Leben erhält, ihr Süppchen kocht und ihren weinschweren Kopf hält. Und doch, wie bereits gesagt: wir befinden uns von der ersten Seite an im Bann dieser Darja Savary, sie reisst uns mit in ihren Erinnerungsrausch, dem sie ganz ausgeliefert ist und der sie zu rasanten inneren Monologen treibt. Auch wir sind ausgeliefert: diesem Fallgefühl, das nicht nur Rausch ist, sondern auch etwas Absolutes, etwas von Freiheit, von Schönheit hat. 
Katharina Faber lässt uns ganz nahe an ihre Figur heran, wir könnten zeitweise in Darjas Haut stecken, ohne sie zu verstehen, wir verbrennen uns die Fingerspitzen beim Blätter der Seiten, wir laufen Gefahr, vor lauter Leseschwindel unters Tram zu taumeln, wenn wir mit dem Buch unter dem Arm aus dem Café kommen. 
Wie macht sie das nur? 
Erstens, Katharina Faber ist keine Moralistin. Sie richtet nicht über ihre Figuren; was sie interessiert, ist ihre Geschichte. Katharina Faber will zweitens auch nichts von Psychologie im Sinn von schnellen, besserwisserischen Erklärungen wissen. Sie lässt die Figuren reden, Darja selbst und alle, die in ihrem Leben eine Rolle spielen und gespielt haben, die Lebenden und die Toten auch; sie unterbrechen den Redeschwall der Protagonistin, widersprechen ihr, ergänzen einzelne Erinnerungen und Episoden um ihre Version. 
Eine meiner Lieblingsszenen findet in einem zum Edelrestaurant ausgebauten Bunker im Atlantikwall statt (das Buch spielt in Frankreich am Meer); Darja und Alain führen sich auf wie zwei tragische Clowns, und wir lachen, weil die Esserei und das ganze Drum und Dran so grossartig beschrieben ist. Gleichzeitig werden beide von tobenden Erinnerungsdämonen heimgesucht und ihre Gedanken jagen dahin wie Wolken in einem Sturm. Paul Valéry hat den Menschen als das Wesen charakterisiert, „das gleichzeitig denkt und an etwas anderes denkt“ - so schön, so intensiv wie in Katharina Fabers Restaurantszene habe ich das Tragikomische der menschlichen Existenz noch selten eingefangen gesehen. 
Hart, schnell und derb ist Katharina Fabers Sprache, ihr Zugang zu den Figuren aber könnte rücksichtsvoller, menschlicher, zärtlicher nicht sein. Sie gibt dem Leben all jener, die im freien Fall von ganz oben nach ganz unten stürzen, und jener, die schon immer unten waren und die so schnell als gescheitert, als „Verlierer“ abgestempelt sind, ihr Schicksal zurück: Schicksal, dieses altmodische Wort passt gar nicht schlecht zu Katharina Fabers Art, ihren Figuren Leben einzuhauchen: mit heisser Anteilnahme und kaltem Blick. Kalt meine ich nicht im Sinne von ironischer Distanz, nichts liegt der Autorin ferner als ironisches Darüberstehen, sondern im Sinne von leidenschaftlich genauem Hinschauen, das auch in der Gnadenlosigkeit des Blicks noch zärtlich sein kann. Denn jedes Urteilen würde der Vielfalt des menschlichen Lebens den Atem nehmen und die Welt auf einen Punkt zusammenschrumpfen lassen. 
In einem neuen Text, der demnächst in einer Anthologie erscheinen wird, sitzt die Ich-Erzählerin, eine Dichterin, die eine Figur erfindet, nach vollbrachtem Werk als Göttin Flora auf ihrem Sessel, „von neuem Leben ganz durchdrungen“. Man sollte nie von literarischen Figuren auf die Autorinnen schliessen, und doch stelle ich mir vor, dass auch Katharina Faber mit immer neuen Figuren in diesen mysteriösen Austausch von Energien und Gedanken tritt, aus dem die Literatur emporkeimt. Und die Spuren davon zittern in ihren Texten erregt und aufregend

Dies und Das

Gespräch mit Katharina Faber

»Manchmal sehe ich am HImmel einen endlos weiten Strand«
Katharina Faber über ihre Charaktere, das Scheitern und eine Verfilmung.

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